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Gewerkschaftssekretären Arina Wolf zur Arbeitssituation im Krankenhaus – Teil 3 des Audio-Interviews

Gewerkschaftssekretären Arina Wolf zur Arbeitssituation im Krankenhaus – Teil 3 des Audio-Interviews

O-T(h)öne sprach über die Situation der Beschäftigten im Krankenhaus, auch am Klinikum Ingolstadt, mit Gewerkschaftssekretären Arina Wolf von ver.di.

Die Themen:

  • Reicht ein Wunschdienstplan und Bettensperrungen, um den Personalmangel zu beheben?
  • Was können Geschäftsführungen und Pflegedienstleitungen tun, um den Personalmangel zu beheben?
  • Wertschätzung von Mitarbeitenden
  • Attraktive Ausbildung
  • Ausländische Pflegekräfte, deren Unterstützung und Einarbeitung
  • Defizite im Krankenhaus
  • Mitarbeiter verlassen das Krankenhaus: Burn-out, Arbeitsverdichtung, veränderte Arbeitsbedingungen
  • Kliniken vom Mitarbeiter her denken
  • Gesundheit ist keine Ware
  • Nicht wertschätzender Umgang mit Mitarbeitenden 
  • Gutachten zur Gesundheitsversorgung der Region 10

Thomas Thöne · Teil 3: Gewerkschaftssekretären Arina Wolf zur Arbeitssituation im Krankenhaus

Anmerkung der Redaktion:

Den ersten Teil  und zweiten Teil des Audio-Interviews finden Sie hier:

Für hörbehinderte Menschen hat O-T(h)öne die Audiodatei unter Anwendung der Software Whisper transkribiert, also verschriftlicht. Es gilt das gesprochene Wort in der Audiodatei.

OT: Schafft man es über einen Wunschdienstplan und über Bettensperrungen den Personalmangel zu beheben und die Betriebszufriedenheit zu steigen oder braucht es da mehr?

Wolf: Ich glaube, es braucht mehr, weil ich glaube, das, was seit 20, 30 Jahren katastrophal in unserem Gesundheitssystem passiert, wir nicht mit diesen zwei einfachen, umsetzbaren, Tatbeständen machen können.

OT: Was muss passieren?

Wolf: Es muss passieren, dass der wirtschaftliche Druck aus den Krankenhäusern herausgenommen werden. Es darf mit unserer Gesundheit kein Profit gemacht werden. Es dürfen im Krankenhaus keine Gewinne erwirtschaftet werden.

OT: Das ist die politische Frage. Aber was können Geschäftsführungen und was können Pflegedienstleitungen tun, um den Personalmangel in Einrichtungen zu beheben?

Wolf: Punkt 1 natürlich, mit dem Personalwirtschaftssyndrom zu gehen. Das Personal ist das wichtigste Gut und man merkt einfach, je bessere Kommunikation mit den Beschäftigten passiert, desto zufriedener sind sie auch.

OT: Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit?

Wolf: Ich finde, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aber ich mache die Erfahrung, dass man immer wieder diese Wertschätzung auch einfordern muss, weil sie nicht immer passiert. Das ist egal, ob die Frage der Gefährdungsanzeigen als Wertschätzung gesehen wird oder die Dienstplangestaltung als Wertschätzung oder aber auch eine einfach mit Handschrift beschriebene Karte und ein kleines Dankeschön oder vielleicht ein schöner Empfang für die 20 Jahre Betriebszugehörigkeit auch ein Zeichen der Wertschätzung sein kann.

OT: Wie wird dann jetzt 20 Jahre Betriebszugehörigkeit wertgeschätzt?

Wolf: Das ist natürlich ein spannendes Thema momentan. Man hat uns auch versprochen, da Abhilfe zu leisten. Es wird auch, glaube ich, was umgestellt. Es soll jetzt in Zukunft die Jubilare und Jubilarinnen geehrt werden mit einem kleinen Empfang und einer wertschätzenden Geste. Davor wurde das unserer Erfahrung nach nicht schwerpunktmäßig betrieben, sondern manche Beschäftigte haben vielleicht eine Postkarte bekommen, manche vielleicht mit einer Danksagung dazu und manche vielleicht mit einem 60 Gramm oder 80 Gramm Täfelchen Schokolade. Das nach Corona, nach so viel Applaus, nach so viel freien Getränken und allem Möglichen, was dort zugeschüttet worden ist. Es fehlen die konkreten Gesten der Wertschätzung und das bringt einige auf die Palme, wo man dann einfach auch nicht versteht, wieso man nicht die Wertschätzung zurückgeben kann, die man jahrelang sozusagen durch das Personal auch erfahren hat, indem sie dem Haus treu geblieben sind. Aber das wird ja jetzt verändert und wir sind sehr gespannt, wie die Kolleginnen und Kollegen diese veränderte Form der Jubilare annehmen.

OT: Was wäre denn weiter noch nötig, um den Personalmangel zu begegnen?  Sie haben jetzt gesagt, Wertschätzung, dann die Bettensperrungen und die Dienstplangestaltung. Was spielt noch mit rein?

Wolf: Natürlich habe ich Forderungen auch an die Politik, wo wir sagen, wir brauchen eine Personalbemessung, die nach dem Bedarf orientiert wird. Aber es sind Kleinigkeiten, die schon bei der Gewinnung von den Nachwuchskräften anfängt. Wie zum Beispiel, wie mache ich denn den Beruf attraktiv oder wie bringe ich denn Leute dazu, dass sie den Ausbildungsberuf ergreifen? Von allein kommen nicht mehr so viele, wie man braucht. Das heißt, man muss ein bisschen mehr tun, damit die neuen Kolleginnen und Kollegen Lust haben, in der Gesundheitsbranche zu arbeiten. Da gibt es vom Zuschuss zur Fahrschule, zum Job-Ticket, viele kleine Regelungen, die sehr wohl möglich sind. Natürlich eine gute Bezahlung. Das ist, glaube ich, außer Frage, dass eine tarifliche Bezahlung im Gesundheitswesen nach dem öffentlichen Dienst gang und gäbe sein sollte. Aber darüber hinaus ist das wesentlich, dass man attraktive Ausbildung anbietet und schon bei der Anwerbung attraktive Angebote den jungen Menschen anbietet, damit sie Lust haben, im Klinikum oder im Gesundheitsbranche anzufangen.

Darüber hinaus, bei Personalmangel, sehen wir auch die Anwerbung von ausländischen Kolleginnen und Kollegen, was sehr hilfreich ist. Aber wir machen auch die Erfahrung, dass bundesweit nicht viele, ich sage jetzt, hängen bleiben, sondern sie sind erschrocken über die Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig merken sie, dass ihre Sprachkenntnisse, die sie aus dem Ausland erworben haben, das ist der Deutschkurs B2, bei Weitem nicht ausreicht. Dann werden sie als Hilfskräfte in die Teams geschmissen, wo in dem Team auch nicht genügend Zeit einfach ist, die Kolleginnen und Kollegen an die Arbeit heranzuführen. Schon ohne diese zusätzliche Aufgabe sind die Teams auf den Stationen, in den Bereichen, eigentlich mit ihrer Arbeitsmenge sehr beschäftigt. Gleichzeitig wird von denen noch zusätzlich verlangt, dass sie ihre ausländischen Kolleginnen und Kollegen noch anlernen. Da ist nicht nur die Sprache eine Barriere, sondern auch die Kultur.

Ich würde mir wünschen, dass wir mehr interkulturelle oder dass wir ein, zwei Stellen schaffen am Klinikum, wo eben der Aspekt der interkulturellen Unterstützung für die Teams, für das Anlernen, für das Begleiten, vorhanden ist.

Ein Welcome-Center löst unsere Probleme am Klinikum mit der Frage der ausländischen Fachkräfte nicht, sondern da müssen mehrere Faktoren einfach mit dabei sein. Das eine ist, das Anerkennungsverfahren muss beschleunigt werden, damit eben die Kolleginnen und Kollegen ihre Profession auch vor Ort so ausüben können, wie sie es gelernt haben und nicht als billige Hilfskräfte einfach in die Teams geschmissen werden. Gleichzeitig muss dann in dem Team auch genug Zeit vorhanden sein, diese Kollegen, ich nenne jetzt mal einen Zeitraum von sechs Monaten, begleiten zu können, denen Arbeitsabläufe zeigen zu können, denen Fachbegriffe zeigen zu können. Damit erleichtert man die Integration in die Teams hinein, ohne eine zusätzliche Belastung bei dem schon vorhandenen Personal.

Ich glaube, das würde vielerorts auch die Situation entspannen und gleichzeitig auch eine gute Visitenkarte sein für die Arbeitsbedingungen in der Pflege für die Kolleginnen, die mit vollem Unterstützungsdrang hier hinkommen und Deutschland unterstützen wollen, in dem Personalmangel. Damit diese nicht nach zwei, drei Jahren burnoutentkräftet zurückfahren und sagen, nie wieder in Deutschland arbeiten, weil dort ist es wirklich manchmal schwierig.

OT: Es geht auch um die Defizite im Gesundheitswesen beziehungsweise den Defiziten in den Krankenhäusern. Es wurde jetzt dieser Tage verlautbart, dass das Klinikum Ingolstadt in dem Jahr mit einem Defizit rechnet von bis zu 30 Millionen Euro. Da stellt sich natürlich auch die Frage, müssen die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern Angst haben um ihre Arbeitsplätze oder konkret auch im Klinikum?

Wolf: Nein. Also ich glaube, die Frage der Angst um Arbeitsplätze im Gesundheitswesen stellt sich auch nicht bei den Kolleginnen. Das ist nicht das Thema, was die Kolleginnen und Kollegen umtreibt, wenn sie das Defizit sehen, sondern was sie sehen, sind die Konsequenzen. Das heißt Arbeitsverdichtung. Man kann sagen, natürlich ist das Minus entstanden dadurch, dass nicht genug Personal da war, um die geplanten Maßnahmen so durchzuführen. Die Corona-Ausgleichszahlungen und gleichzeitig auch der Investitionsstau, der immer noch besteht, treiben das Minus in die Höhe. 

OT: Corona-Ausgleichszahlungen auch? Also meine Information ist, dass die Coronaausgleichszahlungen in viele Krankenhäuser gerettet werden, was die Bilanz angeht.

Wolf: Ja genau, aber jetzt gibt es ja diese nicht mehr für die gesperrten oder vorhanden Betten. Und das ist ja auch das Problem, dass natürlich durch die Corona auch viele Pflegekräfte nicht mehr den Beruf ausüben wollen oder können. Weil sie sagen, es hat mir gezeigt, dass ich so nicht mehr arbeiten kann und will. Sie haben sich auch in der Zeit Alternativen gesucht. Deswegen ist der Personalmangel noch mehr verschärft worden, was dann natürlich dazu führt, dass Betten gesperrt werden, was dann natürlich dazu führt bei einem wirtschaftsorientierten Unternehmen, dass man dann Minus schreibt.

Die Frage ist, wie interpretiert man das Minus und welche Konsequenzen zieht man daraus? Ich glaube nicht, dass das Thema bei den Pflegekräften vorherrscht, Personalabbau oder Kündigungswelle. Es geht ihnen eher um Arbeitsverdichtung. Wie interpretiert man diese Zahlen und müssen zum Beispiel mehr Dienste gemacht werden?

Wird es vielleicht in der Bezahlung tatsächlich danach finanziell Einschnitte geben. Ich glaube aber auch, die Sorge um veränderte Arbeitsbedingungen, das ist eher das, was die Kolleginnen umtreibt, wenn sie diese Sprache der Zahlen sprechen.

Mir geht es bei dieser Sprache der Zahlen manchmal zu viel um Zahlen und zu wenig um das Personal, weil das Personal macht mehr Belegung, mehr Geburten, mehr Aufnahmen und ist konfrontiert jedes Jahr mit mehr Minus, mehr Minus, mehr Minus.

OT: Sie reden jetzt eigentlich einem ehemaligen Geschäftsführer das Wort, der nicht mehr am Klinikum tätig ist. Das war der Herr Kranz, der gesagt hat, wir müssen das Klinikum neu denken, und zwar vom Mitarbeiter her.

Wolf: Das ist ein sehr guter Ansatz, weil ich glaube, das ist auch der Dreh- und Angelpunkt, wie erfolgreich das Klinikum sein kann. Die Zeiten, wo man gesagt hat, geht es dem Unternehmen gut, geht es dann dem Personal gut, ist gerade im Gesundheitswesen vorbei. Die Zeiten müssen kommen, indem man sagt, geht es dem Personal gut, dann geht es auch dem Unternehmen gut. Darauf muss schnellstmöglich hingearbeitet werden.

Weil ich glaube, je zufriedener die Mitarbeiter, desto weniger auch die Ausfallquote, desto weniger auch dann die gesperrten Betten, desto mehr Behandlungen können auch stattfinden und dementsprechend auch dann die Wirtschaftlichkeit besser dargestellt werden.

Wobei ich ganz klar sagen muss, dass es pervers ist, mit der Gesundheit Geld zu machen und die wirtschaftliche Orientierung aller Gesundheitseinrichtungen kritisiere ich stark, weil die Gesundheit ist für alle da und darf kein Spielball von Kapitalinteressen werden.

Egal in welcher Sparte wir uns da bewegen, ob das jetzt Altenpflege ist oder Krankenpflege ist, wer mit der Gesundheit Geld macht, dem ist die Gesundheit nicht ganz so wichtig wie der wirtschaftliche Erfolg.

OT: Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass in der Coronazeit einige Pflegekräfte Unternehmen verlassen haben. Wie ist denn das hier vor Ort, welche Bereiche waren da besonders betroffen, dass Pflegekräfte ein Unternehmen verlassen hat?

Wolf: Na ja, wir sehen tatsächlich dieses Systemrelevanten, während viele Homeoffice ermöglicht worden ist.

OT: Ich meine konkret das Krankenhaus. Welche Bereiche im Krankenhaus hier vor Ort waren es, wo ganz massiv Pflegekräfte abgewandert sind? War das die Somatik? War das die Psychiatrie? War das das Notfallzentrum?

Wolf: Überall ein bisschen, weil eben die Belastung, die on top noch dazugekommen ist. Der auch da nicht wertschätzende Umgang mit dem Personal. Egal, ob die Frage des Impfzwanges, die man sich gestellt hat und tatsächlich kurios beantwortet hat, oder die Belastungssituation oder aber auch die benötigten Mittel, um sich selbst zu schützen. Dass man am Anfang sich darum gestritten hat. Ich erinnere mich an die Debatten über Masken und Wiederverwendung. Bei vielen hat eine gewisse Resignation Einzug gehalten, wo viele dann gesagt haben, ich will mich im Gesundheitswesen nicht mehr kaputt machen. Ich schaue mal einfach beim Bäcker nebenan, klar, mit Gehaltsverlust und und und, aber vielen war einfach die eigene Gesundheit wichtiger.

OT: Blicken einmal in die Zukunft, Frau Wolff Es soll jetzt ein Gutachten geben zur Gesundheitsversorgung der Region 10. Wie beurteilen Sie das Gutachten? Wie sehen Sie das Gutachten? Was glauben Sie, was am Ende rauskommt?

Wolf: Also grundsätzlich finde ich das gut, wir bewerten das schon ganz gut, dass man sich anschaut, wie wirkt sich die Reformverschläge auf unsere Region aus und welche Schritte es notwendig sind, um dem bestmöglich zu begegnen.

Wenn man sich aber da mit reinarbeitet, fällt einem auf, dass in der Gutachtenerstellung zum Beispiel die Interessensvertretungen oder auch die Gewerkschaften gar nicht berücksichtigt werden. 

Wir hatten vor ein paar Wochen Krankenhaustagung, wo wir alle Interessensvertretungen zusammengeholt haben und uns das Thema Gutachten angeschaut haben. Durchweg ist das katastrophal, wenn man die Meinung der Interessensvertretungen nicht einholt. Stellungnahmen oder die Rückmeldungen, Feedbacks von den beteiligten Vertreterinnen und Vertretern des Personals nicht berücksichtigt werden und diese schlicht und ergreifend einfach nicht im Portfolio mit aufnimmt.

OT: Was wäre denn jetzt die Forderung gewesen, dass der Gutachter mit dem Personal spricht?

Wolf: Dass der Gutachter auch mit den Interessensvertretungen spricht oder bei der Vorstellung, bei der Interpretation, des Gutachtens die Interessensvertretungen und die Gewerkschaften sich das anhören können, ihr Feedback dazu auch geben können und dass das in die Interessensvertretung mit in das Gutachten hineinfließt.

OT: Also analog zur Feuerwehrbedarfsplanung, die wir jetzt in Ingolstadt gehabt haben. Da hat man gesagt, dass man bevor das an die Politik geht, an die Öffentlichkeit geht, mit den Freiwilligen Feuerwehrkräften reden sollte. So verstehe ich das, dass sie sagen, bevor das Gutachten jetzt dann in die Öffentlichkeit kommt, den Entscheidungsgremien vorgelegt wird, sollte das nochmal mit den Interessensvertretungen erörtert werden und möglicherweise Positionen der Interessensvertretungen aufgenommen werden, ist das richtig?

Wolf: Genau, und das fehlt total und das haben auch mit Unverständnis die Kolleginnen und Kollegen aus der Fachtagung auch mit rausgenommen, wieso man so wenig ihre Meinung wertschätzt oder auf ihre Meinung verzichten kann. Das wollen wir beheben und hoffen, dass es noch nicht zu spät ist und wir stehen gerne für Gespräche zur Verfügung, wie man das noch beheben kann.

OT: Frau Wolff, ich sage danke für das lange und ausführliche Interview.

Wolf: Danke auch für die Möglichkeit.

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