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Designierter Ingolstädter SPD-OB-Kandidat teilt kräftig aus

Designierter Ingolstädter SPD-OB-Kandidat teilt kräftig aus

Von Thomas Thöne

Zu Facebook, den Themen und Diskussionen dort, gibt es ja sehr unterschiedliche Haltungen und Meinungen. Dies auch im Hinblick auf so manche inhaltliche Qualität. Dennoch kann ein Blick in diese soziale Plattform sehr erhellend sein, wie auf die Facebookseite des designierten Ingolstädter SPD-OB-Kandidaten, Christian Scharpf, der dieses Medium in der jüngsten Zeit zunehmend nutzt, um seine politischen Positionen kundzutun.

So kann man auf seiner Facebookseite nicht nur lesen: "Im Falle meiner Wahl zum Oberbürgermeister wird der Ausbau und die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs in Ingolstadt ein Schwerpunkt!", oder "Im Falle meiner Wahl zum Oberbürgermeister werde ich alles dafür tun, damit das Heilig-Geist-Spital am Standort Fechtgasse bleibt!". Man sieht ihn auch sehr heimatverbunden, in Tracht, in einer bayrischen Musikkapelle fotografiert und natürlich auf der Kundgebung zum 1. Mai, der örtlichen Gewerkschaften, am Paradeplatz. Abgelichtet im Bild neben Oberbürgermeister Christan Lösel (CSU) und dem örtlichen DGB-Organisationssekretär.

Für linke Kräfte in der Ingolstädter SPD, falls es diese noch geben sollte, für die Jusos in der Ingolstädter SPD, die wenig öffentlich in Erscheinung treten und für Wählerinnen und Wähler, die der damals von SPD-Kanzler Gerhard Schröder ausgerufenen "Neuen Mitte" kritisch gegenüber stehen, dürfen einige Facebookpostigs von Christian Scharpf von besonderem Interesse sein.

Am 1. Mai um 19.17 Uhr teilt Scharpf auf seiner Facebookseite einen Beitrag der Onlineausgabe der konservativen Zeitung "Welt", zum viel diskutierten Interview des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert in der Zeitung "Die Zeit". Den Beitrag der "Welt" kommentiert an angehende SPD-OB-Kandidat wie folgt: "30 Jahre nach dem Mauerfall und dem krachenden Scheitern des real existierenden Sozialismus so einen SCHWACHSINN zu verzapfen ist unsäglich. Kevin Kühnert, gehe Deinen Marsch Richtung 5%-Hürde mit wem auch immer, aber verschone die SPD mit Deinen irregeleiteten Thesen". In einem weiteren Posting schreibt Scharpf: "Ich lasse das Kevin Kühnert auch nicht als jugendlichen Übermut durchgehen. Das ist parteischädigendes Verhalten".

Ein Mitdiskutierender weist Scharpf auf die gemäßigtere Haltung der Chefin der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, hin, die von diesem mit der Aussage zitiert wird: „Ein Vorsitzender der Jungsozialisten darf über die Zusammenhänge von Kapitalismus und sozialer Demokratie frei querdenken und das ist sein Recht. Daraus sollte keine hysterische Debatte bei den anderen Parteien entstehen. Vielmehr gilt es in der praktischen Politik die Rolle eines starken Sozialstaates neu zu definieren, wie es die SPD mit der Grundrente, dem Bürgergeld und dem Mietenstopp bereits tut. Denn die letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, der Markt schafft keine kostenfreie Bildung, Mobilität für alle oder bezahlbaren Wohnraum".

Scharpf antwortet mit folgender deutlicher Kritik an der bayrischen SPD-Vorsitzenden Kohnen: "Ich werde über kommunistische Umtriebe in der SPD nicht den Mantel der Nächstenliebe legen wie Frau Kohnen, die mit ihren sagenhaften 9,7% bei der Landtagswahl für mich nicht die beste Ratgeberin für erfolgreiche Politik zu sein scheint. Karl Schiller und Helmut Schmidt würden sich im Grab umdrehen wenn sie solche Diskussionen miterleben müssten".

Am Vormittag des 4. Mai äußert sich Scharpf abermals zum Juso-Chef Kühnert. Er reagiert auf ein Posting des SPD-Fraktionschefs, Achim Werner, der auf seiner Facebookseite einen politischen Kommentar des DONAUKURIER, zur Causa Kühnert, wie folgt lobt: "Sehr guter Kommentar, der sich wohltuend abhebt von den platten Wutattacken …". Daraufhin keilt Scharpf abermals Richtung Kühnert, in dem er unter anderem postet: "Vielen Dank für die Wahlkampfhilfe auch hier in Ingolstadt, lieber Kevin! Ich stehe nicht an Deiner Seite und distanziere mich in aller Deutlichkeit von Deinen Unsinns-Vorschlägen".

Ein politischer Kommentar
von Thomas Thöne

Aufgabe von Parteien ist die Formulierung und Bündelung der Interessen und Meinungen der Mitglieder und Wähler und die Entwicklung politischer Programme. Dies geschieht durch politische Willensbildung in den Parteien. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert die politische Willensbildung im Allgemeinen als einen „Prozess, bei dem (mit unterschiedlichem Gewicht) bestimmte Gegebenheiten (Zustände, Fakten) und bestimmte Absichten (Interessen, Ideen) zu politischen Überzeugungen, zu politischen Zielen und gegebenenfalls politischen Handlungen führen". Also ein sehr demokratischer Vorgang in einem demokratischen Rechtsstaat.

Bei der SPD gibt es zu dieser politischen Willensbildung unter anderem die politische Jugendorganisation "Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos)". Auf deren Homepage ist zu lesen: "Wir wollen den Kapitalismus überwinden und treten für eine andere Gesellschaftsordnung, den Sozialismus, ein. Wir kämpfen für unsere Vorstellung von einer Gesellschaft der Befreiung der Menschen in der Arbeit, der sozialen Sicherheit und persönlichen Emanzipation. Sozialismus ist für uns keine unerreichbare Utopie, sondern notwendig, um die Probleme unserer Zeit zu lösen".

Mit seinem Interview in der Zeitung "Die Zeit" wollte und hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert seine Überlegungen zum Erreichen dieser Ziele kundgetan. Egal, wie glücklich oder unglücklich diese formuliert waren und wie gut oder schlecht der Zeitpunkt für die SPD im derzeitigen Europawahlkampf ist, hat Kühnert einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion geleistet.

Es geht um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und auch um den Artikel 14 unseres Grundgesetztes in dem es im Absatz 2 heißt "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen". Eine solche Diskussion ist bei den sozialen Spaltungen, die wir in unserem Land erleben, tausend mal wichtiger, als beispielsweise die Diskussion die Philipp Mißfelder, als damaliger Chef der Jungen Union, einmal anzettelte, in der er forderte: "Keine Hüftgelenke mehr für die ganz Alten".

Dass sich konservative Kräfte, Neoliberale, Marktradikale und der Vertreter des konservativen Seeheimer Kreises der SPD auf den Juso-Chef und dessen Aussagen, in einem Pawlowschen Reflex, stürzen, war zu erwarten. Dass Kühnert Zustimmung von der Linken bekommt ebenfalls. Dass viele Verantwortliche der SPD auf der Bundesebene, Landesebene und auch der designierte Ingolstädter SPD-Oberbürgermeisterkandidat, Christian Scharpf, die Chancen und die Notwendigkeit der von Kühnert angezettelten Diskussion nicht erkennen, ist bedauerlich. Hier sollte nicht jedes Wort des Juso-Chefs auf die Goldwaage gelegt werden. Kühnert wird Deutschland mit seinen Worten nicht über Nacht in die ehemalige DDR verwandeln. Was von ihm auch gar nicht beabsichtigt ist.

Es sollte viel mehr erkannt werden, was der Kern und Geist seiner politischen Botschaft, im besagten Interview, war. Kühnert ist mit seinem Denken näher an der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik, als so manch Konservativer in der SPD. Mit konservativ meine ich nicht den "Arbeitskreis der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der SPD".

Für die Kühnertkritiker lohnt sich ein Blick in die schon etwas verstaubte Denkschrift der beiden großen Kirchen "Gemeinwohl und Eigennutz". Die damalige breite Diskussion zur Denkschrift, in allen gesellschaftlichen und politischen Lagern, brauchen wir heute wieder, angesichts einer erodierenden Schlüsselindustrie, namens Automobilindustrie, dem Fortschreiten der Technisierung und Automatisierung in allen Bereichen der Wirtschaft und der fortschreitenden Künstlichen Intelligenz (KI), in allen Bereichen des Erwerbslebens.

Es muss erkannt werden, dass ein ungeregelter Markt Sprengstoff für unsere Gesellschaft ist. Wenn diese gesellschaftliche Diskussion nun geführt wird, hat das Interview von Kühnert einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.

Mir gefällt noch heute die Schlagzeile der TAZ mit der Überschrift: "Riesenskandal: Juso-Chef links!" Das bringt die ganze Absurdität der Aufgeregtheit um das Kühnert-Interview auf den Punkt.

Was bedeuten jetzt die Postings, des noch nicht nominierten SPD-Oberbürgermeisterkandidaten, Christian Scharpf, für das politische Ingolstadt und die Wählerinnen und Wähler?

Die Ingolstädter SPD stellt, wie man in Scharpfs Postings nachlesen kann, einen Kandidaten, der näher am rechten konservativen Seeheimer Kreis steht, als links von der Mitte der SPD. Dieser wird somit, zusammen mit CSU, Grünen, Freien Wählern (FW), Bürgergemeinschaft Ingolstadt (BGI), Unabhängigen Demokranten (UDI), FDP und ÖDP um die Bürgerliche Mitte bei der nächsten Kommunalwahl buhlen. Bekanntlich wählen da viele Wählerinnen und Wähler lieber das Original, als die Kopie.

Links von der Mitte lässt Scharpf damit sehr viel Platz für Eva Bulling-Schröter und die Ingolstädter Linke. Dies wird die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken nicht nur freuen, sondern sie wird diesen eingeräumten Spielraum auch für Wählerstimmen und Stadtratsmandate zu nutzen wissen, zu Lasten der SPD.

Warum Scharpf sich, ohne Not, so massiv zu Kühnert geäußert hat, bleibt sein Geheimnis. Vermutlich aus politischem Kalkül. Ob dies aufgeht, wird sich zeigen. Applaus bekommt er derzeit von CSU-Mitgliedern auf Facebook. Diese werden ihn und die SPD bei der Kommunalwahl jedoch nicht wählen.

Öffentlichen Widerspruch zu seinem Vorgehen wird Scharpf weder aus der Ingolstädter SPD, noch von den Ingolstädter Jusos bekommen. Beiden bleibt nur eines bis zur Kommunalwahl, sich geschlossen hinter den Kandidaten zu stellen, egal was dieser noch so verlautbart und wie weit rechts von der Mitte er argumentiert. Das nennt sich dann, Augen zu und die Reihen schließen.

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