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Stadtratssitzung: Offene Rechnungen und ein „Schuss vor den Bug“

Stadtratssitzung: Offene Rechnungen und ein „Schuss vor den Bug“

Von Thomas Thöne

In der jüngsten Ingolstädter Stadtratssitzung stand auf der Tagesordnung vier Stadtratsmitglieder zu wählen, die als Vertrauensleute beim Amtsgericht Ingolstadt zur Prüfung der Unterlagen der Bewerber für das Ehrenamt des Schöffen fungieren. Die Wahl ist normalerweise eine reine Formalie, ebenso die Tätigkeit beim Amtsgericht. Die vom Stadtrat entsendeten Mitglieder müssen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit von Ihren „Kolleginnen und Kollegen“, wie durch Gesetz vorgesehen in geheimer Abstimmung, gewählt werden. Bei 48 Anwesenden bei diesem Tagesordnungspunkt der letzten Stadtratssitzung sind dies, einschließlich des Oberbürgermeisters, 32 Stimmen, die erforderlich waren.  Brigitte Mader (CSU) Petra Volkwein (SPD) und Maria Segerer (Grüne) erreichten diese Stimmenzahl. Hans Stachel scheiterte mit 29 Stimmen.

Danach kandidierten Karl Ettinger (FDP), Jakob Schäuble (FDP) und Markus Meyer (Junge Union). Ettinger scheiterte mit 31 Stimmen, Schäuble mit 30 Stimmen ebenso und Meyer verfehlte die Zwei-Drittel-Mehrheit mit 31 Stimmen.

Erst Klaus Böttcher (Freie Wähler) wurde im fünften Wahlgang mit 39 Stimmen als vierte Vertrauenspersonen gewählt.

Ein Appell des Oberbürgermeisters zur Vernunft an die Stadtratsmitglieder vor dem dritten Wahlgang verpuffte. Kopfschütteln und Unmut war im Stadtrat nach jedem gescheiterten Wahlgang zu vernehmen. Erklärungsversuche kamen zu keinem schlüssigen Ergebnis.

Wenn man nun, nachdem der Rauch dieser chaotischen Wahl im Ingolstädter Stadtrat verflogen ist, mit verschiedenen Mandatsträgern vertraulich -off the Record- spricht, ergibt sich durchaus ein Bild.

Die Mär, dass die Parteien, die den Oberbürgermeister und die Bürgermeister stellen, also SPD, CSU und Grüne, geschlossen gegen die „Oppositionsparteien“ gestimmt hätten, ist nicht schlüssig. Hier wären klare Absprachen nötig gewesen, für die ein derartig unwichtiger Tagesordnungspunkt viel zu viel Aufwand der Abstimmung zwischen den Parteien benötigt hätte. Selbst aus den Reihen, die mit ihren Kandidaten gescheitert sind, ist zu hören, dass eine solche Absprache ausgeschlossen wird.

Die von einem Ingolstädter Onlinemedium verbreitete Geschichte, die Fraktion der Freien Wähler habe gegen ihren Fraktionsvorsitzenden gestimmt und dieser sollte die Vertrauensfrage stellen, hat mehr mit schlechten Träumen zu tun als mit der politischen Realität.

Was nach Gesprächen mit Stadtratsmitgliedern klar wird, ist die Tatsache, dass es im Stadtrat „gemenschelt" hat.

Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Hans Stachel, hat mit seinem erfolgreichen Einsatz gegen die Kammerspiele, Stadtratsmitglieder nachhaltig gegen sich aufgebracht. Stachel, der auch von Stadtratsmitgliedern als Oppositionsführer bezeichnet wird, bringt mit seinem kritischen Hinterfragen und eigenständigem Denken, insbesondere bei SPD und Grünen, Kommunalpolitiker gegen sich auf. Somit ist offensichtlich, dass mit dem Scheitern von Stachel, bei der unbedeutenden Wahl im Stadtrat, nicht nur eine offene Rechnung beglichen wurde, sondern gleich mehrere.

Ettinger und Schäuble scheiterten, so ist aus Stadtratskreisen zu hören, wegen ihrer nassforschen Art des Auftretens. Ettingers anhaltendem Freudentaumel, auch in sozialen Medien, bei dem durchgesetzten verkaufsoffenen Sonntag in diesem Jahr hat nicht jedem gefallen, auch nicht Befürwortern der Sonntagsöffnung. Zu sehr, so ist zu hören, habe sich der FDP-Stadtrat als Retter der Sonntagsöffnung stilisiert. Dabei habe die FDP mit zwei Stadtratsmandaten allein gar nichts bewegen können. Gleiches ist zum Thema des nun jährlich stattfindenden Bürgerfestes zu hören. „Die müssen aufpassen, dass sie nicht überziehen“, ist von einem Stadtratsmitglied zu hören, mit Blick auf die lediglich 3,5 Prozent, welche die FDP bei der letzten Kommunalwahl erzielte.

Das Scheitern von Meyer wird an seiner letzten Haushaltsrede festgemacht, in der dieser kräftig gegen die Stadtführung polterte, ebenso an seiner, angeblich ständig unberechtigten Kritik, am Handeln der Stadtspitze.

Ettinger, Schäuble und Meyer bekamen einen „Schuss vor den Bug“, so ist zu hören.

Böttchers Wahl mit 39 Stimmen sei nicht verwunderlich, trete dieser doch stets höflich und bescheiden auf.

So lässt sich das Fazit ziehen, es gab keine Absprachen, eine Person nicht zu wählen und auch keinen Aufstand innerhalb der Fraktion der Freien Wähler.

Dem Stadtrat, als Spiegelbild der Gesellschaft, sind Neid und Missgunst, quer durch die politischen Parteien und Gruppierungen, nicht fremd. Diese bahnen sich, übrigens nicht zum ersten Mal, in geheimen Abstimmungen ihren Weg. Wäre, von Gesetz wegen, eine offene Abstimmung mittels Handzeichen möglich gewesen, hätten die zu wählenden Vertrauensleute wohl im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit auf sich vereinen können.

Es ist wohl nicht besser geworden im Ingolstädter Stadtrat seit der letzten Kommunalwahl, sondern lediglich anders.

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